Sonntag, 11. September 2011

Franz und Alexander

(Text geschrieben am 10.9.2011 im Lake Tahoe Valley, California, USA, 20.00h Pacific Daylight Time)

Heute hätte Franz Geburtstag. Hätte. Eigentlich hat er auch, denn er lebt ja noch. Aber für irgend jemanden ist er unereichbar oder schlichtweg nicht mehr da. Und daher nur hätte. Und dieser jemand ist Alexander. Seine Freunde nennen ihn Alex, denn so möchte er auch genannt werden, er nennt sich seit seinem 12. Lebensjahr schon nicht mehr mit seinem Geburtsnamen. Dabei dachte er auch schon an eine Namensänderung, aber schliesslich beliess er es dabei. Aber hier geht es um etwas anderes.

Alex hat seit seinem 6. Lebensjahr keine intakte Familie mehr gehabt. Seine Mutter war plötzlich nicht mehr da und sein Vater erzählte etwaige Geschichten, die Klein Alexander sowieso nicht verstand, er wollte nur seine Mutter sehen. Dies zog sich durch die ganze restliche Kindheit so durch. Irgendwann hat Franz eine neue Frau kennen und lieben gelernt. Alex versuchte dies auch, konnte das aber nicht so gut, da er immer noch seine Mutter vermisste. Die neue Stiefmutter brachte auch einen eigenen Sohn mit in die Gemeinschaft und so lebten sie zu Viert in einem Haus, bis zu dem Tag an, wo Alex seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle brachte und aufhörte, zu reden. Er redetet so gut, wie gar nichts mehr. Vielleicht noch das nötigste. Er traute sich auch noch kaum aus seinem Zimmer zu gehen und nach den Hausaufgaben ging er gleich zu Bett. Und dies die ganze Kindheit durch. Sein Vater machte sich so was ähnliches wie Sorgen und beriet sich mit Medizinern, Psychologen und ähnlichen Institutionen und gab ihn schlussendlich in die Obhut eines Kinderheimes für schlecht erziehbare Kinder. Die genauen Gründe dafür kennt Alex heute noch nicht, allerdings hatte sein Vater einmal gesagt, es hätte zu der Zeit nichts anderes gegeben.

An seinem 12. Geburtstag holte ihn sein Vater vom besagten Kinderheim ab und fragte ihn, ob er zu seiner Mutter möchte. Alex bejahte. Und seit dem Tag an lebte Alex bei seiner Mutter. Den Rest seiner Kindheit. Seine Jugendzeit. Sein Erwachsenwerden. Seine Mutter hatte es auch nicht immer leicht, oft war das Geld knapp, aber Alex hatte immer genügend zu Essen und immer gewaschene Kleider. Oft war seine Mutter auch nicht da. Sie arbeitete hart und am Wochenende war sie oft mit Freunden auf dem Bodensee segeln, das war ihr ganz liebstes und wenn auch einzigstes Hobby. Alex wuchs auch ohne Vater auf. Und das ging auch gut.

Nur manchmal wünschte sich Alex, dass er einen Vater gehabt hätte, der für ihn da war. Der mit ihm Fussball gespielt hätte, der mit ihm Mädchenprobleme besprochen hätte, der mit ihm in den Baumarkt gefahren wäre, der ihn umarmt hätte, wenn er mal traurig gewesen wäre, der ihn getadelt hätte, wenn er mal einen Scheiss gemacht hätte und der ihn stolz gelobt hätte, für seine bestandene Lehrabschlussprüfung. Manchmal wünschte sich Alex, dass er einen Vater hätte. Manchmal wünschte er sich, dass eine Postkarte zu Weihnachten käme oder einen Anruf zu seinem Geburtstag. Leider ist da nichts. Alex hatte es zweimal versucht, einen neuen Kontakt herzustellen. Dies ist einige Jahre her. Leider ohne Erfolg. Franz erkannte ihn kaum noch. Naja. Inzwischen ist Alex zu einem Mann herangewachsen. Ihm spriessen die ersten Barthaare. Seit dem letzten Widersehen sind 10 Jahre vergangen.

Heute sind weitere 13 Jahre ins Land gestrichen. Alex hat inzwischen viele graue Haare bekommen. Er arbeitet hart für den Einkauf, Bewerbung, Verkauf und Leitung einer Abteilung im Elektroniksegment. Er hat ein Hobby. Tauchen. Er liebt Tauchen über alles. In der Tiefe findet er seine Ruhe und kann sich voll auf seine Tätigkeiten konzentrieren. Er hatte sogar Weiterbildungen betrieben. Inzwischen ist er Rettungtaucher und möchte demnächst zum Divemaster brevetiert werden. Er liebt Tauchen. Vielleicht taucht sein Vater auch. Dann könnten sie zusammen tauchen. Aber Alex weiss es nicht. Er hatte schon zighundert Mal den Telefonhörer in der Hand gehabt und fast die Nummer von Franz gewählt. Aber er hatte Angst. Angst, ihn wieder und wieder zu verlieren. Alex ist heute 35 Jahre alt, Franz wurde heute am 10.9.11 genau 58 Jahre alt. Nur kann er ihm nicht gratulieren. Er hat Angst.

Franz hat eine Frau und deren Sohn Pascal. Jetzt sind sie wieder eine Familie. Vielleicht sind alle glücklich. Nur hat Franz seinen leiblichen Sohn vergessen oder verdrängt, oder muss er manchmal auch an ihn denken? Hatte Franz vielleicht auch schon hundermal den Hörer in der Hand und versuchte mit zittrigen Händen die Telefonnummer von Alex zu wählen?

Dad, ich sitze hier inmitten der Sierra Nevada, am Lake Tahoe, Zentralkalifornien, USA und musste an Dich denken und wünsche Dir einen schönen Geburtstag. Vielleicht liest Du irgendwann mal diese Zeilen, damit Du weisst, dass ich an diesem Tag an Dich dachte.

1 Kommentar:

  1. alex =(
    tu dir selber einen gefallen und ruf ihn an...
    sonst weisst du nie, wie es ihm geht, was er denkt, wie er über dich denkt, über das denkt was alles passiert ist.

    ich kenn dich schon so lange, doch nie hast du über deinen dad geredet...
    nicht in meiner gegenwart...
    ich wusste genaugenommen nichts von dir...
    und du weisst, dass das auch eine belastung war für uns.
    ich denke ganz fest an dich.

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